Klar, verloren hatte die Mannschaft. Doch für das 0:3 gegen Holstein Kiel am 27. November 1955 machten einige Zuschauer an der Bremer Brücke vor allem die Unparteiischen verantwortlich. Nach Aussagen der Betroffenen wurde Schiedsrichter Karl-Heinz Wörmke mit einem Fußtritt bedacht, der Osnabrücker Linienrichter Nieberg von einem Schlag in den Nacken und sein Gegenüber sogar von einem Ziegelstein getroffen. Am 11. Dezember 1955, heute vor 70 Jahren, verhängte der Spielausschuss des Norddeutschen Fußball-Verbandes daraufhin eine Platzsperre bis Ende des Jahres. Das nächste Liga-Heimspiel der Lila-Weißen sollte allerdings ohnehin erst im Januar 1956 stattfinden …

Nach der Vizemeisterschaft, die 1952 die Qualifikation für die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft bedeutet hatte, versanken die Lila-Weißen im Mittelfeld der Oberliga Nord. 1953 stand noch Platz 4 zu Buche, dann wurde der VfL Zwölfter und anschließend Neunter. Auch 1955/56 lief nach gutem Start nicht mehr viel zusammen. Unkonzentriertheiten in der Abwehr, mangelnde Durchschlagskraft im gegnerischen Strafraum und diverse taktische Mängel sorgten dafür, dass die Mannschaft von Paul Bornefeld immer wieder leer ausging, auch wenn sie wegen ihres großen Engagements oft die bessere Mannschaft zu sein schien.

So auch am letzten Novemberwochende, als die Lila-Weißen den frühen Rückstand nach einem Patzer von Torwart Herbert Konieczny schnell wegsteckten und sich gegen das Spitzenteam aus Kiel zahlreiche gute Chancen erarbeiteten. Das Eckenverhältnis betrug am Ende 14:4, doch Theo Schönhöft und Walter Bulik, Gerd Scheumann und Werner Forthmann scheiterten immer wieder am starken Gäste-Keeper Henry Peper. Schiedsrichter Karl-Heinz Wörmke verweigerte den Osnabrückern überdies einen mehr oder weniger klaren Handelfmeter – und was die Gäste taten, während die Hausherren vergeblich um den Ausgleich bemüht waren, lässt sich schnell erraten: Sie nutzten ungerührt ihre wenigen Gelegenheiten, erzielten kurz vor Pause das 0:2 und drei Minuten vor dem Abpfiff auch noch das 0:3.

Es muss ein frustrierendes Spiel gewesen sein, das einige der 7.000 Zuschauer an den Rand der Selbstbeherrschung und wohl auch darüber hinaus brachte. Schon während des Spiels gab es Pfiffe, Schmährufe und Attacken gegen die Unparteiischen und nach dem Abpfiff wurde es nicht besser. Schiedsrichter Karl-Heinz Wörmke bemühte bei der Verhandlung in Bremen einen historischen und durchaus eigenwilligen Vergleich: „Heinrich IV. wird es auf seinem Gang nach Canossa nicht schwieriger gehabt haben als wir auf unserem Weg vom Stadion zur Kreuzschule.“

Friedel Schwarze sah das Ganze naturgemäß weniger dramatisch und verwies unter anderem auf die umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen, die von Seiten des Vereins getroffen worden seien. Unterstützung erhielt der VfL-Präsident von dem Osnabrücker Leichtathleten Hammersen, der als Polizeibeamter an der Veranstaltung teilgenommen und den Schiedsrichter persönlich begleitet hatte. Ganz aufklären ließen sich die Vorgänge nicht und so verkündete der Spielausschussobmann nach Zeugenvernehmung und Beratung ein ungewöhnliches Urteil: „Der Sportplatz des VfL wird für Spiele seiner Ligaelf bis zum 31.12. gesperrt. Die Kosten des Verfahrens fallen dem VfL zur Last.“

Die Lila-Weißen wurde also bestraft – und gleichzeitig geschont, denn die einzige Partie, die dem Urteil tatsächlich zum Opfer fiel, war ein für den 28. Dezember anberaumtes Freundschaftsspiel gegen Westfalia Herne. Der nächste Heimauftritt in der Oberliga Nord fand erst am 8. Januar 1956 statt. Der Kommentator des „Osnabrücker Tageblatts“ veröffentlichte unter dem Titel „Noch einmal davongekommen“ gleichwohl einen eindringlichen Appell:

„Wo kämen wir hin, wenn eine Entscheidung des Schiedsrichters – selbst wenn sie zu Unrecht gefällt wird – jenen rauflustigen Elementen gleich das Recht gibt, tätlich zu werden. (…) Auch vom Zuschauer muß man Selbstdisziplin verlangen und diejenigen, die nicht maßhalten können und den Sportplatz immer noch mit einem Rummelplatz verwechseln, sollten lieber daheim bleiben.“ („üo“ im Osnabrücker Tageblatt, Dezember 1955)


Text: Thorsten Stegemann