Der erste „Brückenschlag“ erschien am 18. August 2019 – nun erzählen wir bereits zum 50. Mal Fußballgeschichte(n) rund um die Lila-Weißen und ihre Gegner. Aus gegebenem Anlass schauen wir diesmal genau 50 Jahre zurück – in eine Saison, die Rekordverdächtiges zu bieten hatte.

Dreimal in Folge hatte der VfL die Meisterschaft in der Regionalliga Nord gefeiert, war dann aber – mehr oder weniger knapp – in der Aufstiegsrunde zur Fußball-Bundesliga gescheitert. 1971/72 sollte es ein alter Bekannter richten. Erwin „Ata“ Türk, der zwischen 1957 und 65 selbst 168 Spiele für die Lila-Weißen bestritten hatte, kam als neuer Cheftrainer vom FC St. Pauli an die Bremer Brücke.

Türk hatte sich als exzellenter Abwehrspieler einen Namen gemacht und legte entsprechend viel Wert auf hochkonzentrierte Defensivarbeit. Durchaus zum Leidwesen mancher VfL-Fans, die in den Vorjahren zwischen 70 und 94 Treffer pro Saison bejubelt hatten. 1971/72 schossen die Lila-Weißen gerade einmal 62 Tore, doch auf der anderen Seite sah es für die Konkurrenz noch deutlich trostloser aus. In 34 Spielen kassierte der VfL in Person von Stammtorwart Werner Kamper nur 20 Gegentore. Das hatte es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben und erst 1996/97 kam der VfL unter Herbert Mühlenberg wieder in die Nähe dieser Fabelmarke (21).

Gewitter in Wolfsburg

So spielte es kaum eine Rolle, dass sich Türks Schützlinge in dieser Saison einige Aussetzer gönnten und gleich zweimal gegen den späteren Absteiger SC Sperber Hamburg verloren. Von den letzten sieben Partien konnten sie nämlich sechs gewinnen – natürlich alle ohne Gegentor. Keiner dieser Siege war wichtiger für die erneute Endrunden-Qualifikation als der 4:0-Erfolg beim direkten Konkurrenten VfL Wolfsburg am vorletzten Spieltag.
Volker Graul brachte die Lila-Weißen am 7. Mai 1972 nach einer halben Stunde in Führung, doch dann sahen Friedhelm Holtgrave und Günter Karbowiak innerhalb von zwei Minuten die rote Karte. Der empörte Trainer war von seinem Präsidenten kaum am Spielfeldrand zu halten (siehe Foto), entdeckte wenig später aber dunkle Wolken am Horizont. „Mir war klar, dass da ein Gewitter aufzieht. Ich habe den Spielern gesagt: ´Los, zieht Stollenschuhe an!´“, erinnerte sich Türk.
Tatsächlich entlud sich nach der Pause ein heftiges Gewitter über dem Stadion, das neun standfesten Osnabrückern deutliche Vorteile gegen elf, auf Noppen herumrutschenden Wolfsburgern bescherte. Heinz Koch, Jürgen Wohlgemuth und Karl Leufgen erzielten noch drei weitere Tore für die Lila-Weißen, die am Ende – diesmal hinter dem FC St. Pauli – auf Platz 2 einliefen.

Die Vizemeisterschaft reichte für die Aufstiegsrunde, in der die Osnabrücker einen aussichtsreichen Start hinlegten. Gegen Tasmania Berlin (1:0), den FC Bayern Hof (1:1) und Borussia Neunkirchen (2:0) wurden wichtige Punkte gesammelt. Doch dann wartete der Wuppertaler SV, der den VfL mit 5:0 vom Platz fegte und auch das Rückspiel mit 4:0 für sich entschied. Nun waren die Kicker aus dem Bergischen Land auf Rekordjagd. Mit dem früheren VfL-Stürmer Günter Pröpper gewannen sie am Ende acht von acht Spielen und stiegen verdient in die Bundesliga auf.

Das Jahr danach

Erwin Türk blieb eine weitere Saison beim VfL. Diesmal erzielten seine Schützlinge 75 Tore, denn eigentlich dachte der Übungsleiter gar nicht so defensiv, wie ihm oft nachgesagt wurde. „Ich habe nicht mit drei Stürmern spielen lassen, aber es gab klare taktische Ansagen, die unter anderem darauf hinausliefen, dass die Außenverteidiger immer mit nach vorne gehen sollten. Wer Meister werden und aufsteigen will, darf gar nicht defensiv spielen. Aber ein Konzept muss er schon haben“, meinte der Übungsleiter viele Jahre später.

Am Ende belegten die Lila-Weißen erneut den zweiten Platz hinter St. Pauli, gerieten in der Aufstiegsrunde aber frühzeitig ins Hintertreffen. Nach dem 1:2 gegen den SV Röchling Völklingen und einem 3:5 in Darmstadt war der Zug Richtung Bundesliga zum fünften Mal in Folge ohne den VfL abgefahren.

Text: Thorsten Stegemann. Die Zitate stammen aus einem Interview des Autors mit Erwin Türk im Jahr 2011.
Bild: NOZ-Archiv