Im Eröffnungsspiel der Saison 2022/23 treffen die Lila-Weißen auf den MSV Duisburg. Vor knapp 60 Jahren gehörten die Gäste, die damals als Meidericher SV firmierten, zu den 16 Vereinen, die in der neu gegründeten Bundesliga antreten durften. Mit Trainer Rudi Gutendorf und Weltmeister Helmut Rahn sorgten die Duisburger für eine faustdicke Überraschung.

Im Sommer 1963 diskutierte ganz Fußball-Deutschland über die Zusammensetzung der neuen Eliteliga. Waren die 16 Vereine, die ab August nach einem komplizierten Auswahlverfahren erstmals in einer gemeinsamen Spielklasse antraten, wirklich die besten, die (West)Deutschland zu bieten hatte? Bis heute sind viele Osnabrücker nicht dieser Meinung, denn nach den ausgelobten Kriterien wären die Lila-Weißen sportlich qualifiziert gewesen. Auch beim Meidericher SV war es knapp, am Ende votierte die Findungskommission aber für die Duisburger, die mit dem gerade 36-jährigen Rudi Gutendorf den jüngsten Übungsleiter verpflichtet hatten.

Präsident Dr. Walter Schmidt traute den eigenen Kickern offenbar wenig zu. Im Restaurant „Marienbildchen“ kritzelte er Gutenbergs Vertragsmodalitäten auf eine Speisekarte und notierte eine großzügige Prämie. 100.000 Mark sollte der neue Coach für die Meisterschaft erhalten, und auch für Platz 2 gab es noch „30.000 Mäuse“.

Dass Gutenberg vorausschauend verhandelt hatte, deutete sich bereits am 24. August an. Die Meidericher gewannen gleich das Auftaktspiel beim Karlsruher SC mit 4:1 und setzten sich als erster Tabellenführer an die Spitze der Bundesliga. Für den dritten Treffer sorgte der einzige wirkliche Prominente in der „Mannschaft der Namenlosen“. Helmut Rahn, der 1954 das Siegtor gegen Ungarn erzielt und so das „Wunder von Bern“ ermöglicht hatte, war vor Saisonbeginn vom Sportclub Enschede nach Duisburg gewechselt und wurde seinem Spitznamen auch zum Abschluss der Karriere in jeder Hinsicht gerecht.

Denn der „Boss“ motivierte, feuerte an und zeigte den jungen Kollegen, wo es lang ging. Neben Werner Krämer (11), der noch 1963 sein Länderspiel-Debüt feierte, und Heini Versteeg (10) traf Rahn achtmal ins Schwarze – und kassierte am 14. September nach einer Tätlichkeit gegen den Berliner Harald Beyer auch gleich den ersten Platzverweis der Bundesliga-Historie.

„Wo liegt eigentlich dieses Meiderich?“

Sein nur drei Jahre älterer Trainer war derweil auch außerhalb des Platzes gefordert. „Ich rufe schon seit Wochen Arbeitgeber und Gönner des MSV auf, unseren Spielern leichte Beschäftigung zu vermitteln!“ Nicht nur Mittelfeldmann Werner Lotz, der als Former acht Stunden am Hochofen stand, war Gutendorf beim Training „einfach zu platt“. Trotzdem verstand die Mannschaft seine ausgefeilte Defensivtaktik, die ihm den Spitznamen „Riegel-Rudi“ eintragen sollte. Gegen die Topteams der Liga nominierte der spätere Weltenbummler bis zu acht Abwehrspieler, perfektionierte aber auch das schnelle Umschalten von Abwehr auf Angriff, das einige Favoriten überforderte.

So kam der Hamburger SV, dessen Superstar Uwe Seeler zunächst geographische Schwächen offenbarte, („Wo liegt eigentlich dieses Meiderich?“), in Duisburg mit 0:4 unter die Räder und sorgte für Hochstimmung bei den einheimischen Fans: „Wo Meiderich liegt, wo Meiderich siegt, ist überall bekannt!“

Am Ende der ersten Bundesliga-Saison galt diese Feststellung für ganz Fußball-Deutschland. Die vielen Abwehrstrategen vor Torwart Manfred Manglitz, der 1970 mit zur WM nach Mexiko fahren sollte, ließen nur 36 Gegentreffer zu. Gerade einmal vier Teams gelang ein Sieg gegen die Zebras. Erfolgreicher war nur der 1. FC Köln, der sich als erster Deutscher Meister in den Bundesliga-Annalen verewigte.

Der Meidericher SV wurde Vizemeister und zweieinhalb Jahre später, am 7. Januar 1967, zum MSV Duisburg. Erfolgstrainer Rudi Gutendorf stand zu diesem Zeitpunkt beim amerikanischen Profiklub St. Louis unter Vertrag. Er kehrte über ein Engagement auf den Bermudas 1968 in die Bundesliga zurück. Als Coach von Schalke 04 gab es in den folgenden Jahren gleich mehrere Wiedersehen mit seinem Ex-Verein.


Text: Thorsten Stegemann
Bild: Rudi Gutendorf (Mitte) 1963 als Trainer beim MSV mit Helmut Rahn (l.) und Werner Kraemer – IMAGO / Horstmüller