Hamburg, 1945/46: In der Trümmerlandschaft des Zweiten Weltkriegs macht sich Karl Miller um einen Wiederaufbau besonderer Art verdient. Der Defensivstratege ist Sohn eines Schlachtermeisters aus der Wexstraße und hat deshalb überzeugende Argumente, um einige der besten Fußballer in die Elbmetropole zu lotsen.

Hans Appel, Heinz Lehmann, Willy Thiele und Chefcoach Hans Sauerwein kamen aus Berlin. Josef Famula hatte in Schlesien bei Beuthen 09 gespielt und Heiner Schaffer, Fritz Machate, Heinz Köpping, Walter Dzur und Heinz Hempel, später lange Jahre Trainer des FC St. Pauli, waren eigentlich in Dresden zuhause. Ebenso wie Helmut Schön, der die Nationalmannschaft 1974 zur Weltmeisterschaft führen sollte. Für St. Pauli absolvierte Schön am Ende nur drei Oberliga-Partien – und das möglicherweise ohne Spielberechtigung. „Man erzählte mir, es sei alles in Ordnung. Geglaubt habe ich nie daran“, gab er laut „Hamburger Abendblatt“ zu Protokoll.

Was die Ausnahme-Fußballer nach Hamburg zog, war die Möglichkeit, sich selbst und ihre Familien in der entbehrungsreichen Nachkriegszeit mit dem Lebensnotwendigsten zu versorgen. Die Millersche Schlachterei und ihr Umfeld spielten dabei eine wichtige Rolle. „Freunde steckten mir allerhand zu. Einer schenkte mir ein Fässchen Heringe. Von Karl Miller, dem Nationalverteidiger, gab es eine Riesenwurst“, erinnerte sich Helmut Schön in „75 Jahre FC St. Pauli“.

Welchen Anteil die Fleischprämie am sportlichen Erfolg hatte, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Dass der FC St. Pauli zu einem beachtlichen Höhenflug ansetzte, ist dagegen Fußball-Geschichte. 1946 musste sich das „Wunderteam“ bei der Hamburger Stadtmeisterschaft noch dem HSV geschlagen geben, doch ein Jahr später war St. Pauli in der Freien und Hansestadt das Maß aller Dinge.

1948 qualifizierte sich die Mannschaft sogar für die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft und traf im Viertelfinale auf die SG Oberschöneweide – einen Vorgängerverein der „Eisernen“ Unioner. Wegen der Berlin-Blockade stiegen die Hamburger auf dem Weg ins Olympiastadion kurzfristig auf Bollerwagen um und gewannen am Ende 7:0.
Im Halbfinale wartete dann aber der 1. FC Nürnberg. Die Franken siegten mit 3:2 und holten sich später auch den Titel – St. Pauli kam der Meisterschaft nie wieder so nah wie am 25. Juli 1948.

Doch auch in den kommenden drei Jahren gelang dem Klub die Qualifikation für die Titelrunde – jeweils als Tabellenzweiter der Oberliga Nord hinter dem Hamburger SV. Erst 1952 mussten sich die Braun-Weißen mit Platz 3 begnügen. Vizemeister und Teilnehmer an der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft war diesmal der VfL Osnabrück …

Text: Thorsten Stegemann
Bild: Hans Appel während des Halbfinales 1948 gegen den 1.- FC Nürnberg. Ein Dankeschön für die Überlassung des Bildes an den FC St. Pauli!