Osnabrück vor 103 Jahren: Kalt war´s im Dezember 1920. Viel zu kalt, um mit der Eisenbahn in eine andere Stadt zu fahren und dort auch noch Fußball zu spielen. Doch genau das wurde vom „Ballspielverein Osnabrück von 1899“ an diesem besonders ungemütlichen Wintertag erwartet. Da kam einem der frierenden Sportskameraden die vermeintlich rettende Idee.

Es war nämlich nicht nur bitterkalt. Wenn man der Überlieferung glaubt, hatten sich auf dem zugigen Osnabrücker Bahnhof auch lediglich neun Herren eingefunden. Es fehlten also mindestens zwei, um dem Gegner, der sich möglicherweise bis zuletzt am heimischen Ofen gewärmt hatte, Paroli bieten zu können. In diesem Moment soll BV-Kapitän Friedel Peistrup eingefallen sein, dass er „einen Kumpel bei der Bahn“ hatte. Der Zug fuhr ab – allerdings ohne die Osnabrücker, die sich stattdessen in den Besitz eines offiziellen Schreibens brachten.

Daraus ging hervor, dass die neun tapferen Fußballer – wild entschlossen, die unwirtliche Reise tatsächlich anzutreten – im letzten Waggon Platz genommen hätten. Dann sei jedoch eben dieses Abteil versehentlich abgekoppelt worden und der Zug ohne sie losgefahren. Die Osnabrücker hatten die höhere Gewalt auf ihrer Seite, ihre Rechnung aber ohne den zuständigen Fußballverband gemacht. Dem kam die ganze Angelegenheit eigenartig vor und tatsächlich ergaben Nachforschungen, dass der letzte Waggon sehr wohl auf die vorgesehene Reise gegangen war: Randvoll beladen mit Milchkannen, die ihren Bestimmungsort sicher erreicht hatten!

Wer wäre der Gegner gewesen?

Um den haben wir uns bislang herumgedrückt, denn tatsächlich gab es immer wieder verschiedene Ansichten, gegen wen der Ballspielverein seinerzeit antreten sollte. Einige Indizien wiesen in die Osnabrücker Nachbarschaft – zum späteren Erzrivalen Preußen Münster. Auch dessen innerstädtischer Konkurrent SC Münster 08 und Borussia Rheine kamen als Gegner in Betracht. Eigene Nachforschungen und Recherchen von VfL-Experten – ein herzlicher Dank geht hier insbesondere an Harald Pistorius! – legen eine andere, allerdings noch immer nicht absolut sichere Lösung nahe, die auch Jürgen Bitter in seiner lila-weißen Fußballgeschichte von 1991 vertrat. Die zeitliche Abfolge von Spielplanansetzungen und Sanktionen in Form von Sperren deutet darauf hin, dass die Osnabrücker zu Viktoria Recklinghausen reisen sollten.

Unabhängig davon schlug die kuriose Geschichte auch überregional hohe Wellen. Die Zeitschrift „Fußball“ berichtete 1921: „Der Ballspielverein Osnabrück will aus dem Spottnamen ein bleibendes Andenken in Form eines Klubabzeichens schaffen, auf dem ein Milchwagen und die dazu gehörigen Kannen die berühmte Geschichte verewigen sollen.“

Dazu kam es nicht, und der Deutsche Fußball-Bund verstand in dieser Angelegenheit auch keinen Spaß. Er verschärfte die Sperre des zuständigen Kreisausschusses von vier Wochen auf drei Monate. Hermann Scheidemann, seines Zeichens Schriftführer des Ballspielvereins, konnte schließlich eine Reduzierung auf zwei Monate aushandeln.

1925 wurde die „Milchwagen-Affäre“ Teil einer neuen Vereinsgeschichte. Die Ballspieler schlossen sich mit dem Klub „Spiel und Sport“ zusammen und fanden einen Namen, der noch lange Bestand haben sollte: VfL Osnabrück.


Text: Thorsten Stegemann

Bild: zaphad1 auf Flickr , CC BY 2.0